Einige Mythen über neue Produkte – und einige Hintergründe über Softwareentwicklung
Kaum war Windows Vista veröffentlicht, raschelte es heftig und nervös im IT-Blätterwald. Journalisten, die sich für investigativ halten, orakelten: Aus geheimer Quelle habe man erfahren, dass Microsoft bereits am ersten Servicepack für Vista arbeite. Schockschwerenot! Ist damit der Beweis erbracht, dass Vista nicht einsetzbar ist? Ist etwa die alte Weisheit zu befolgen, dass man auf jeden Fall das erste Servicepack abwarten muss?
Wer wissen will, warum solche Mythen Unsinn sind, sollte sich ein wenig anschauen, wie professionelle Softwareentwicklung funktioniert.
Ein komplexes System wie Windows Vista, Office 2007, SQL Server 2005, Oracle 10g oder beliebige andere Software wird von einer Vielzahl von Entwicklern programmiert. Die Entwicklungsarbeit muss aufwändig koordiniert und die Ergebnisse müssen sorgfältig gesichert werden. Über allem stehen definierte Ziele, in der Regel bestimmte Funktionen, die die Software in bestimmter Qualität erfüllen soll. Nicht alle Ziele lassen sich in der ursprünglichen Form erreichen. Daher findet zu einem intern festgelegten Zeitpunkt eine Fixierung des erreichten Standes statt: Neue Funktionen werden nicht hinzugefügt, sondern bis zum Erscheinen der Software werden nur noch Korrekturen durchgeführt. Manchmal müssen dabei auch Programmteile, die ursprünglich geplant waren, entfallen. In anderen Fällen ist absehbar, dass Elemente der Software zum Erscheinungsdatum bestimmte Merkmale nicht haben werden.
Es ist dabei eine übliche Vorgehensweise, dass zum Zeitpunkt dieser funktionalen Fixierung der Entwicklungsweg nicht abgeschnitten, sondern fortgesetzt wird: Was im offiziellen Release der Software noch nicht erreicht ist, kann vielleicht zu einem absehbaren späteren Zeitpunkt nachgeliefert werden. So ist bei vielen Microsoft-Applikationen bereits vor dem ersten Erscheinungstermin klar, welche Komponenten im ersten Servicepack nachgeliefert werden und wann diese Ergänzung ungefähr veröffentlicht wird.
Im Falle von Windows Vista findet genau dieses statt. Vista wurde auf Basis des Codes von Windows Server 2003 entwickelt. Parallel wurde die neue Server-Version, die immer noch unter dem Codenamen „Longhorn“ bekannt ist, auf derselben Codebasis programmiert. Da bei der weiteren Server-Entwicklung, die voraussichtlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2007 abgeschlossen sein wird, natürlich auch viele Verbesserungen für Windows Vista entstehen werden, stehen viele Planungen für das erste Servicepack bereits seit langem fest. Tatsächlich ist sogar zu erwarten, dass bereits am zweiten Servicepack geplant wird.
Was viele selbsternannte Experten also für den Beleg halten, dass Microsoft ein unfertiges Produkt auf den Markt geworfen habe (vielfach wird das noch um ein süffisantes „mal wieder“ ergänzt), ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines modernen und hochgradig professionellen Entwicklungszyklus. Keine Software ist jemals ausführlicher getestet (und für gut befunden) worden als Windows Vista. Zur Korrektur gravierender Fehler sind Servicepacks seit vielen Jahren ohnehin nicht mehr besonders wichtig: Gerade auf dem Gebiet des Patchmanagement hat Microsoft branchenweit Maßstäbe gesetzt und überzeugt mit regelmäßigen Korrekturen seiner Software, die auf einfache Weise in vorhandene Systeme eingepflegt werden können. Dass komplexe Software immer Fehler haben wird, ist eine Binsenweisheit, die nicht mehr betont werden muss.
Von der gern kolportierten Ansicht „kein Microsoft-Produkt vor dem ersten Servicepack“ oder dem als Geheimwissen behandelten Ausspruch „nur Servicepacks mit gerader/ungerader Nummer“ ist also in etwa so viel zu halten wie von den regelmäßigen Gerüchten um Seeungeheuer in kühlen schottischen Seen. Genau wie die Seen um ihrer selbst willen eine Reise wert sind, aber nicht wegen irgendwelcher Fabelwesen, zeigt sich verantwortungsvolle IT-Administration nicht in irrationalen Vorurteilen.
Letztes Update ( Sunday, 11 February 2007 )
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